Ideen zur Integrierten Mobilität oft unter Finanzierungsvorbehalt
Eine verkehrliche als auch organisatorische Integration zu schaffen, auf diesen Weg haben sich einige Akteure aus der Branche bereits begeben – ob sie den Weg so konsequent fortsetzen können, hängt bisweilen aber an der Finanzierungsperspektive. Das wurde auf dem NaNa-Symposium „Integrierte Mobilität“ am 14. November 2024 in Frankfurt am Main deutlich. Die Veranstaltung wurde von der DVV Media Group, in der auch der NaNa-Brief erscheint, in Kooperation mit DB Regio durchgeführt (und vom Autor dieses Beitrags moderiert).
Jens Gertsen, als freier Berater in viele Projekte zu neuen Mobilitätskonzepten eingebunden, betonte in seiner Keynote den Nutzen integrierter Angebote: „Sie macht die Hauptachsen attraktiver, ermöglicht eine flächendeckende Bedienung und erhöht die Effizienz.“ Daraus ergebe sich aber auch die Herausforderung: „Man versucht hier, zwei grundsätzlich verschiedene Systemansätze zu verheiraten“, so Gertsen. Einerseits „floate das On-Demand-System so vor sich hin“ und der Fahrplan ergebe sich erst dann, wenn das Routing feststehe. Andererseits fahre der Bus am Anschlusspunkt fahrplangemäß ab. „Für den Algorithmus muss das der Fixpunkt sein, der nicht verpasst werden darf“, stellte Gertsen klar.
Mit Blick auf die Fortführung von On-Demand-Projekten im Regelbetrieb rät er, spätestens mit Beginn der zweiten Hälfte eines Förderprojektes ein System zu generieren, das effizient genug ist, um im Anschluss an die Förderung mit einem vertretbaren Finanzierungsaufwand weiter betrieben werden zu können. „Da bin ich natürlich gut beraten, wenn ich eine kluge Abwägung treffe, welche Kundenwünsche ich erfüllen kann und welche zu viel kosten“, so Gertsen.
In diesem Zusammenhang mahnt der Berater aber auch zur Vorsicht bei der Bewertung der höheren spezifischen Kosten von Bedarfsverkehren. Dabei müsse man auch deren Beitrag zur Bündelung der Linien auf den Hauptachsen und die daraus resultierenden Effizienzgewinne berücksichtigen. Schließlich funktioniere ein integriertes System nur durch die Kombination seiner Komponenten. Die Betrachtung isolierter Kennzahlen greife dabei regelmäßig zu kurz.
Erfolgreich und integriert: On-Demand-Verkehre im Kreis Offenbach und in Leipzig
Der im Jahr 2019 eingeführte „Hopper“ der Kreisverkehrsgesellschaft Offenbach (KVG OF) gilt mit heute rund 65.000 Fahrgästen monatlich als größter On-Demand-Verkehr in Hessen. Seit dem Start der dritten Ausbaustufe im Sommer 2023 ist das Angebot kreisweit ausgerollt. Die Buchungsplattform als auch der Fahrdienst werden seit Ende 2023 durch Via als Dienstleister bereitgestellt, die inzwischen 73 Fahrzeuge gehören der KVG OF selbst.
Geschäftsführer Andreas Maatz stellte auf dem Symposium drei Stufen der Weiterentwicklung vor: Nach Ende der bislang finanzierten Betriebsphase bis Ende 2025 soll ein angepasstes Bedienkonzept mit einem neuen Betreiber umgesetzt werden, ab 2028 dann der On-Demand-Verkehr in funktionale Ausschreibungen gemeinsam mit dem klassischen Busverkehr integriert werden. Perspektivisch soll zudem der autonome Betrieb der Shuttles integriert werden. Doch diese Ideen stehen einstweilen unter Finanzierungsvorbehalt.
„Wir stehen gerade vor der Diskussion und der Entscheidung, ob wir auch 2026 und 2027 ausschreiben oder vergeben dürfen“, fasste Maatz den Stand der Dinge zusammen. Das in der Kostendebatte On-Demand-Verkehre immer wieder mit dem Busverkehr verglichen werden, stört auch ihn. „Da vergleicht man Äpfel mit Birnen. Der Linienbus hat andere Funktionen als ein Hopper. Wir wollen die Vorteile beider Systeme miteinander verbinden, Busse und On-Demand künftig noch besser verzahnen, um noch mehr Kunden in das System zu bekommen.“
Umfangreiche Praxiserfahrungen konnte auch Daniel Höfler beitragen, der bei den Leipziger Verkehrsbetrieben (LVB) das On-Demand-Projekt Flexa leitet. Das Vorhaben weist einige Besonderheiten auf: Die gesamte Software wurde von Beginn an inhouse entwickelt. Die für den On-Demand-Verkehr entwickelte Flexa-App ist inzwischen neben anderen multimodalen Angeboten wie Bike-Sharing, Car-Sharing oder E-Tretrollern über eine Kachel in die Plattform „Leipzig Move“ integriert. Perspektivisch soll das On-Demand-Angebot aber nahtlos in das System integriert werden, die On-Demand-Option dann ohne aktive Entscheidung des Kunden bei einer Verbindungsabfrage automatisch angezeigt werden. Für Höfler geht es dabei nicht um Komfort, sondern vor allem ums Prinzip: „Wenn man predigt, dass On-Demand-Verkehr Teil des ÖPNV ist, muss er auch gleich behandelt und beauskunftet werden.“
Zudem ist Flexa Bestandteil des Öffentlichen Dienstleistungsauftrags zwischen der Stadt Leipzig und der LVB. So ist die Finanzierung für die nächsten Jahre über diesen Weg abgesichert. „Der On-Demand-Verkehr wird neben Bus und Straßenbahn als dritte Säule des ÖPNV betrachtet. Das System ist so konzipiert, dass es die bestehenden Linien ergänzt und nicht ersetzt. Ins Stadtzentrum gehen wir damit nicht, weil dort die hochfrequentierten, großgefäßigen Fahrzeuge unterwegs sind“, erläuterte Höfler. Anhand von Beispielen zeigte er, wie Busverkehre mit Einführung von On-Demand-Angeboten optimiert werden konnten. Dabei geht es nicht immer nur um die Reduzierung von Busleistungen: So wurde im Stadtteil Leutzsch eine Buslinie zunächst ganz durch Flexa ersetzt, das Gebiet erwies sich für eine effiziente Bedienung mit den Shuttles aber als zu klein. Daher wurde eine Buslinie sowohl zur Haupterschließung des Stadtteils als auch zur Entlastung einer hochfrequentierten Straßenbahn auf eine neue Route gelegt und der On-Demand-Verkehr auf ein größeres Gebiet erweitert, womit alle Verkehrsmittel wieder ihre Stärken ausspielen können.
Landesweite Initiativen in Nordrhein-Westfalen und im Saarland
Die räumliche Erschließung stand im Fokus der Überlegungen von Jens Petershöfer, Leiter der Gruppe Vernetzte Mobilität im Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen. Er gab Einblick in erste Ergebnisse der Erreichbarkeitsanalyse in NRW, deren Ziel es sei, Anstöße für eine strategische Entwicklung der ÖPNV-Systeme zu geben und zu Mindestqualitäten oder Mindestbedienstandards zu kommen.
Unter vernetzter Mobilität versteht Petershöfer die physische, informatorische und tarifliche Integration von ÖPNV- und Nicht-ÖPNV-Mobilitätsangeboten zu einer einheitlichen Dienstleistung. Er hält die Integration aller Angebote in einen Tarif sowie die Zusammenführung von Information, Buchung und Bezahlung aller Angebote in einer App für zielführend. Ein wesentlicher Aspekt ist für Petershöfer aber auch die physische Integration. Das beginne schon mit dem Fahrradständer an der Haltestelle. Die Erreichbarkeitsanalyse in NRW unterstreiche die große Wirkung: Es vergrößere den Einzugsradius einer Haltestelle und damit auch die Erschließungsqualität enorm, wenn sie nicht nur zu Fuß erreichbar sei. Einen Riesensprung mache die Erschließungsqualität schließlich mit On-Demand-Verkehren. Die ersten Ergebnisse der Erreichbarkeitsanalyse in NRW hätten gezeigt, dass auf diese Weise das Nahverkehrsangebot in ländlichen Regionen theoretisch sogar mit dem großer Städte mithalten könne.
Das Saarland will eine landesweite Mobilitätsgarantie anbieten, berichtete Christian Ramelli, Referatsleiter Neue Mobilitätsformen, ÖPNV-Förderung und PBefG-Genehmigungsbehörde im saarländischen Mobilitätsministerium. Ende 2026 s bisherige Regionalbahn-Netz zu einem S-Bahn-Netz im 20-Minuten-Takt aufgewertet werden. „Das übt natürlich auch einen gewissen Druck auf die kommunalen Aufgabenträger aus. Wenn alle 20 Minuten ein Zug am Bahnhof fährt, dann müssen die Fahrgäste da schließlich auch hin- und wegkommen“, so Ramelli.
Das Land habe daher nun die Verschränkung von Landesnetz und kommunalen Netzen in den Fokus genommen. Der Weg dorthin, so Ramelli, führe nicht nur über die von DB Ioki durchgeführten Mobilitäts- und Potenzialanalysen zur Verbesserung der Angebotskonzepte, sondern auch über die Städte und Gemeinden, die mit ins Boot geholt werden müssten. „Will man das Thema Integrierte Mobilität in die Fläche bringen, ist Überzeugungsarbeit bei Verwaltungsspitzen und Mitgliedern von Kommunalparlamenten gefragt“, meinte der Referatsleiter.
Inwiefern zusätzliche Expressbuslinien, On-Demand-Verkehre, Bike-and-Ride-Angebote oder Kombination verschiedener Angebote geeignet sind, den ÖPNV in den diversen Raumtypen zu verbessern, wird zunächst in Reallaboren ermittelt. Nun geht darum, das Reallabor-Konzept gemeinsam mit den Gemeinden in die Umsetzung zu bringen. Erste Gespräche laufen bereits, und die Reallabor-Typen sollen perspektivisch skaliert werden: „Wenn man das ein paar Jahre weiterdenkt, kommen wir mit diesen Reallaboren irgendwann so weit in die Fläche, dass sich das Thema einer Mobilitätsgarantie praktisch als Beiwerk fast von selbst ergibt. Es ist ein iterativer Prozess.“
Schleswig-Holstein: Einen Schritt weiter – und doch vor der gleichen Herausforderung
Mit einem integrierten Angebot bereits im Betrieb ist das Projekt SMILE24 in der Schlei-Region in Schleswig-Holstein (NaNa-Brief 15/24). Dennis Fiedel, Bereichsleiter Kommunikation bei der Landesnahverkehrsgesellschaft Nah.SH, konnte erste Erfolgsmeldungen mitbringen. Rund 50 Prozent mehr Fahrgäste gegenüber dem Frühjahr 2023 vor Start des Deutschlandtickets wurden nach einem halben Jahr SMILE24-Betrieb gezählt. Monatlich werden rund 22.000 Fahrgäste mit den On-Demand-Shuttles befördert, auch die kürzeren Fahrzeiten der Expressbuslinien führen zu Fahrgastzuwächsen.
Die On-Demand-Verkehre haben für Fiedel zwei Funktionen: Sie sollen Zubringerdienste zu anderen Verkehrsmitteln übernehmen und kleinräumige Mobilität bereitstellen, wo es kein anderes Angebot gibt. Die Herausforderung der Zubringerfunktion bestehe tatsächlich darin, zeitgerecht und punktgenau die Anschlussstellen zu erreichen. Das verlaufe allerdings nicht überall konfliktfrei, so Fiedel, „daran muss man permanent arbeiten.“ Zugleich machte er klar, dass für ihn der Bus die zentrale Komponente des Konzepts darstellt. Shuttles seien „schick und modern“, ließen sich auch politisch gut verkaufen. Aber: „Das Rückgrat der verkehrlichen Erschließung in der Region ist weiterhin der Bus. Ein deutlich verbesserter Busverkehr mit Expressbuslinien.“
Wie es nach dem Ende der knapp bemessenen Projektlaufzeit weitergeht, ist dennoch ungewiss. Ziehe man die notwendigen Umsetzungsvorbereitungen nach dem Zuschlag ab, habe man gerade noch anderthalb Jahre Zeit, um im Betrieb erfolgreich zu sein. „Das ist nicht so wahnsinnig lang, wenn man auf eine Region schaut, in der es viele Autos gibt.“ Für die Zeit danach werde es darum gehen, gemeinsam mit den politischen Verantwortlichen im Land und in den Kreisen eine Anschlussfinanzierung zu entwickeln. „Sicherlich nicht für alles“, vermutet Fiedel, „aber doch für das meiste aus dem Projekt.“
Auf das übergeordnete Thema der künftigen Finanzierung gesamthafter ÖPNV-Angebote blickte denn auch Jörg Niemann, Leiter des Kompetenzcenters Verkehr bei Rödl & Partner. Er stellte eine ganz Bandbreite künftiger Finanzierungsquellen für den öffentlichen Verkehr vor. Niemann sieht hier vor allem die Aufgabenträger in der Verantwortung, Gestaltungsspielräume für neue Finanzierungsquellen und eine effizientere Mittelverwendung zu erschließen. Aus seiner Sicht können aber gerad Verkehrsverbünde künftig ein zentraler Player sein: „Sie sind räumlich größer und können Aufgaben zentralisieren. Fragen nach der Drittnutzerfinanzierung liegen dann nicht mehr bei den Kommunen auf dem Tisch, sondern der Verbund macht das zentral.“
Mit Blick auf die wachsende Bedeutung integrierter Mobilität mahnt Niemann zudem eine zügige Anpassung der Fördersysteme und die Flexibilisierung der Zuständigkeitsgrenzen an. Es könne nicht sein, über durchlässige Verkehrssysteme zu sprechen, bei der Finanzierung aber weiterhin in Silos zu denken und nach SPNV, Linien- und On-Demand-Verkehren und möglicherweise auch noch nach Fahrzeugen für die Nahmobilität zu unterscheiden. Stattdessen wirbt er dafür, Grenzen zu überwinden, Verkehrsräume zu öffnen und funktional auszuschreiben: „Bitten wir doch die Anbieter, einen Raum zu gestalten und überlassen es ihnen, ob sie die Erschließung über Schienenverbindungen, Plus-Bus-Systeme oder On-Demand-Verkehre verwirklichen.“ (mb)