„Wir müssen uns bewegen, um etwas zu bewegen“

Sechs Thesen für die Verkehrspolitik im Jahr der Bundestagswahl aus Sicht des SPNV: Ein Kommentar von Thomas Prechtl, Präsident des Bundesverbandes Schienennahverkehr (BSN).

Liebe Leserinnen und Leser,

das Deutschlandticket ist nicht nur ein Gewinn für die Fahrgäste, sondern setzt einen wichtigen Impuls für die gesamte Branche: Es geht bei dieser Initiative des Bundes nicht nur um günstige Tarife, die Bürger zum Umsteigen in den ÖPNV/SPNV bewegen sollen, sondern auch um einen einheitlichen einfachen Tarif, der in ganz Deutschland gilt. Aber dabei dürfen wir nicht stehenbleiben. 

In manchen Regionen ist dieser revolutionäre Ansatz des Deutschlandtickets auf fruchtbaren Boden gefallen. Die Kollegen haben diese Idee aufgegriffen und konsequent weitergedacht. Vor dem Hintergrund des Deutschlandtickets wurden Tarife reformiert und Strukturen überarbeitet. Im Rahmen dieser Tarifreform werden aus beispielsweise bisher sechs Tarifstufen in Zukunft drei für den gesamten Verbundraum. Zahlreiche andere Ticketangebote entfallen, der Tarifdschungel gelichtet. Mit der Integration eines weiteren ÖPNV-Zweckverbands wird der Verbundraum nicht nur größer, sondern die Strukturen für den ÖPNV werden gleichzeitig effizienter und die Kommunen finanziell entlastet. 

Daher ist das Signal für die Branche und die Verkehrspolitik im Jahr der Bundestagswahl: „Wir müssen uns bewegen, um etwas zu bewegen“.

Bestes Beispiel: das Deutschlandticket. Die hohe Geschwindigkeit, die die Kollegen in einigen Regionen bei diesem zugleich revolutionären wie simplifizierten Zugang zu Bussen und Bahnen vorlegen, ist beispielgebend. Dort gilt: Es bleibt, was unverzichtbar ist. Deshalb hat man kurzerhand Fakten geschaffen und das Deutschlandticket systemrelevant werden lassen. Man hat dafür im großen Stil anderweitige Tarifangebote kurzerhand gestrichen und erste Verkehrsverbünde aufgelöst. Chancen nutzen, statt sie zu zerreden.

Ich rufe deswegen unserer Branche wie auch dem Sektor Schiene zu: Lasst uns in 2025 mehr solcher Beispiele wagen! Die Zeit dafür ist überreif. Die sechs folgenden wesentlichen Eckpfeiler für die Zukunft des Schienennahverkehrs in Deutschland sollten in die Köpfe politisch handelnder Akteure.

1. Infrastrukturfinanzierung
Wir brauchen eine über die Legislatur hinausgehende Planungssicherheit und stabile Finanzierung für die Infrastruktur durch einen nachhaltig angelegten und finanzierten Infrastrukturfonds für den Erhalt und Ausbau eines leistungsfähigen Schienennetzes auch in der Fläche.

2. Langfristige Sicherung des Deutschlandtickets
Das Deutschlandticket braucht eine verlässliche langfristige Finanzierungsgarantie. Fahrgäste und Unternehmen müssen sich darauf verlassen können, dass das Deutschlandticket ein günstiges Tarifangebot bleibt, um die Akzeptanz zu steigern und die Ausgleichsbeträge für die Erlösausfälle zu minimieren.

3. Zukunftsgerichtete Digitalisierung
Auf der Straße sind selbstfahrende Fahrzeuge in Pilotregionen bereits Wirklichkeit. Auf der Schiene gibt es bislang auch nur Insellösungen. Obwohl die Schiene hier mit ihrer Spurgebundenheit geringere Anforderungen an die technischen Systeme stellt, halten wir mit ETCS an einer Technik aus dem letzten Jahrtausend fest. Wir brauchen zukunftsgerichtete, updatefähige und kompatible Lösungen für die digitale Steuerung des Schienenverkehrs. Das bedeutet, dass sich die Aufgabenträger auch darauf einstellen müssen, dass mehr Komponenten der Leit- und Sicherungstechnik in die Fahrzeuge verlagert werden und finanziert werden müssen.

4. Infrastrukturausbau in den Knoten
Ein Ausbau der Strecken zwischen den Knoten oder eine Modernisierung der Leit- und Sicherungstechnik mögen die Kapazität einer Strecke erhöhen. Die Knoten und deren Infrastruktur bilden den Flaschenhals. Wo nicht genügend Bahnsteigkanten, Weichenverbindungen oder Abstellgleise vorhanden sind, kann das System wachsende Fahrgastzahlen nicht verdauen. Man kann es nicht oft genug wiederholen: Es reicht nicht, Strecken wieder zu ertüchtigen oder in ihrer Kapazität zu erweitern oder in der DB-Sprache auf „Hochleistung“ zu trimmen, wenn Knoten wie die Bahnhöfe des Netzes nicht entsprechend mitwachsen.

5. Weniger ist mehr
Wo zu viele Züge das Netz verstopfen, müssen weniger Züge mit größeren Kapazitäten eingesetzt werden. Fern- wie Nahverkehrszüge mit vier oder fünf Wageneinheiten verschenken wertvolles Potential, „verstopfen“ die Bahnknoten mit ungenutzten Kapazitätsoptionen und tragen so wesentlich zur Verspätung wie auch zur Verspätungsübertragung bei. Die aktuellen Schienennutzungsbedingungen werden dem nicht gerecht.

6. Die Qualität muss besser werden
Eine Definition von Qualität und Pünktlichkeit bleibt der große deutsche Schienen-Infrastrukturbetreiber bis heute schuldig: Wenn über Monate, gar Jahre Verlässlichkeit von unter 90 Prozent zur Regel, gar zur Selbstverständlichkeit wurden, ist ein Infrastruktur-Betreiber verpflichtet, ein Programm aufzulegen, das wieder Planbarkeit und Verlässlichkeit für die EVU wie auch deren Kunden auch in der Fläche herstellt. 

Die Politik hat in den vergangen drei Jahren im öffentlichen Verkehr viel angestoßen, Geld bereitgestellt und grundlegende Strukturänderungen begonnen. Das ist respektvoll anzuerkennen. 

Aber diese Initiativen sind nur der Anfang. Gerade Aufsichtsebenen, Aufsichts- und Regulierungsbehörden sind wahrnehmbar diesem neuen Weg noch nicht gefolgt. Noch immer werden zum Beispiel Bahnsteiglängen in Deutschland nach Verkehrsverträgen und dem daraus abgeleiteten Fehlschluss der „Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit“ genehmigt – nur acht Jahre später können diese Bahnsteige dann schon zu kurz sein. Auch die Diskussion zu Bahnsteighöhen zeigt, wie kleinteilig häufig der Bahnverkehr noch gedacht wird. Dieses und weitere Beispiele zeigen, dass mehr strategisches und systemisches Denken erforderlich ist, um den Bahnverkehr zukunftsfähig zu machen. Wie heißt es so treffend: „Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit“.

Hier lädt der Bundesverband Schienennahverkehr im Namen aller Bundesländer und seiner Aufgabenträger ein, proaktiv die Zukunft der Branche zu gestalten und die Schiene in Deutschland wieder zum europaweiten Vorbild zu entwickeln. Wir sehen uns unter anderem dazu auf dem Treff.SchienenNah, am 13.2.2025 in Fulda – zehn Tage vor der Bundestagswahl!

Bis dahin –
Ihr Thomas Prechtl

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