Tacheles auf der „Traffic Talks“
Politische Fragestellungen standen bei der Erstauflage der Traffic Talks im Mittelpunkt – und sorgten für Zündstoff, wie sich in Diskussionen um Stuttgart 21, Finanzierungsfragen und den gläsernen Nahverkehrskunden zeigte. Für Spannung(en) sorgte auch die Ausladung von Mofair-Präsident Meyer und der Verbandsaustritt von Abellio.
„NRW ist Bahnland Nummer 1“ – das findet das NRW-Wirtschafts- und Verkehrsministerium. Deshalb bringt es Branchenakteure aus Bahnindustrie, Betrieb, Behörden und Verbänden im Zweijahresrhythmus zusammen. Am 13. und 14. September ist nun erstmals die „Traffic Talks“ in Bonn über die Bühne gegangen.
Unter der Überschrift „Mobilität im Dialog“ ist es den Veranstaltern dabei gelungen, den Gedankenaustausch der Branche auszuweiten und sie Finanzierern, Beratern, Luftverkehrs- und Autolobby, dem Philosophen Peter Sloterdijk, Trendforschern oder auch einem „Wachhundverband“ wie Lobbycontrol auszusetzen.
Dabei standen mit Klaus Baur (Bombardier), Hans-Jörg Grundmann (Siemens), Michael Daum (Stadler) und Ronald Pörner (VDB) auch prominente Industrievertreter auf dem Podium. Weil jedoch keine Messe die „Traffic Talks“ begleitet, blieben Industriethemen insgesamt geringer gewichtet als auf den Vorgängerveranstaltungen „Rail“ und „Railtec“.
Das zeigte sich auch an den Ständen, die zum großen Teil von politiknahen Unternehmen wie den NRW-Verkehrsverbünden oder kommunalen Verkehrsunternehmen wie SWB Bonn und KVB Köln gebucht waren. Als Medienpartner war auch „ÖPNV aktuell“ mit einem Stand präsent und hat das Geschehen in Text und Bild festgehalten.
Das flammendste Plädoyer auf die deutsche Bahnindustrie hielt jedoch Keolis-Deutschlandchef Hans Leister. Scharf kritisierte er Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU), der am 8. September bei seinem „Bahngipfel“ die deutsche Bahnindustrie und damit „diesen weltweit führenden Industriezweig als Schrottindustrie dargestellt“ habe. Ergebnis sei eine „Loose-Loose-Situation“ gewesen. Dabei hätte Ramsauer laut Leister durchaus auch Herstellern, Betreibern und Politik eine Win-Win-Konstellation organisieren können.
Dialog bis hin zum Disput kennzeichnete die „Traffic Talks“ an vielen Stellen. Keinen Dialog wünschte man offensichtlich mit dem Präsidenten des Wettbewerberverbandes Mofair, Wolfgang Meyer.
Als Referent im Forum „Wettbewerb ums Geld“ war er angefragt. Doch schlussendlich vertrat ihn Vizepräsident Leister, und zwar auf dem Programmzettel und am Rednerpult. „Wer sich dagegen wehrt, dass Claims abgesteckt werden, wird eben schlichtweg ausgeladen“, erklärte Mofair-Hauptgeschäftsführer Engelbert Recker in einer Wortmeldung den Referentenwechsel.
Zugleich forderte er, man müsse die Marktorganisation in Frage stellen, nicht darüber diskutieren, wie man an das Geld des Staates herankomme oder sich Direktvergaben sichere. Genau das aber habe der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) am selben Tag einmal mehr gefordert.
Laut Recker ist die Ausladung Meyers „auf Druck des VDV und der Deutschen Bahn (DB)“ erfolgt. VDV-Hauptgeschäftsführer Oliver Wolff kommentierte dies gegenüber „ÖPNV aktuell“ mit einem einzigen Wort: „Quatsch“. Eine DB-Stellungnahme stand bei Redaktionsschluss noch aus. Das Landesverkehrsministerium ließ ausrichten: „In Absprache mit Mofair ist Herr Leister nominiert worden.“ Die Detailplanung der Veranstaltung habe außerdem in der Hand der Essener Agentur CP-Compartner gelegen.
Mit dem systematischen Widerstand gegen eine erneute Direktvergabe durch den Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) an DB Regio haben sich Mofair und seine streitbare Verbandsspitze offensichtlich in der Branche und der Landesverwaltung nicht nur Freunde gemacht. Das zeigt sich auch daran, dass das Mofair-Gründungsmitglied Abellio dem Verband den Rücken gekehrt hat.
Das sei aus Verärgerung über den unversöhnlichen Tonfall erfolgt, war auf den Fluren der „Traffic Talks“ zu hören, wohl auch darüber, dass der geplante Vergleichsvertrag juristisch hintertrieben wurde, in dem DB Regio Abellio den Betrieb der S5 zugeschanzt hätte.
„Kein Kommentar“, sagt Abellio-Pressesprecher Peter Werz dazu, „kein Kommentar“ auch dazu, dass Abellio-Manager Ronald Lünser angeblich sein Amt als Mofair-Vorstand ruhen lässt. Die Mofair-Geschäftsstelle bestätigt immerhin „Gespräche“ mit dem Gründungsmitglied, ohne von einem Austritt zu reden. Hauptgeschäftsführer Recker bezeichnet „Spannungen als normal“ und gibt sich gegenüber „ÖPNV aktuell“ optimistisch, dass sie sich auch wieder einrenken werden.
Ein Verband habe eben Grundsatzpositionen zu verteidigen. „Eigentlich müsste das Land unserem Präsidenten den roten Teppich ausrollen, statt ihn auszuladen. Schließlich hat er doch mitgeholfen, dass der VRR und damit die öffentliche Hand 500 Mio. EUR sparen“, ergänzte Recker.
VDV-Funktionär Wolff betonte, dass im VDV und nur im VDV neben der DB auch die größten nichtbundeseigenen Anbieter, die G6, Mitglied seien. Gemeinsam hätten sie sich auf Positionen zum Wettbewerb und zu Direktvergaben im SPNV verständigt (ÖPNV aktuell 44/11).
Damit ist für Wolff die Ausgewogenheit dieser Vorschläge belegt. Via Pressekonferenz rief er am selben Tag zudem die FDP und namentlich ihren Vorsitzenden, Bundeswirtschaftsminisiter Philipp Rösler, auf, den Widerstand gegen Direktvergaben in der AEG-Novelle aufzugeben. „Direktvergaben sind nämlich häufig genug Voraussetzung für Wettbewerb“, betonte Wolff.
Neben der Arrondierung von Teilnetzen und der Harmonisierung von Vertragslaufzeiten zeige sich, dass die Anbieter zunehmend selektierten, ob und an welcher Ausschreibung sie teilnähmen. Und ein Wettbewerbsverfahren mit nur einem oder zwei Teilnehmern bedeute eben keinen echten Wettbewerb.
Später, im Kongressforum „Freie Fahrt auf Europas Gleisen“, widersprach die Vizepräsidentin der Bundesnetzagentur, Iris Henseler-Unger: Auch bei zwei Anbietern besteht eine Auswahlmöglichkeit, funktioniert mithin der Wettbewerb. Auch Mofair kämpft erklärtermaßen gegen die Fixierung der Direktvergabe im AEG wie auch im PBefG. Wolff betonte, dass er für diese VDV-Position nicht erst seit seinem Wechsel zum Verband werbe. „Es ist hinlänglich bekannt, dass ich mich auch in meiner alten Funktion für Direktvergaben eingesetzt habe.“ Genau dieser nahtlose Wechsel des Spitzenbeamten vom Landesverkehrsminsterium NRW zu einem Interessenverband aus seinem bisherigen Zuständigkeitsbereich ist für Lobbycontrol „ein Problem“.
„Wir würden uns Karenzzeiten wünschen“, sagte Verbandsvertreter Ulrich Müller auf dem Podium. Wolff konterte, er sehe den VDV nicht als klassischen Lobby-Verband, sondern als Sprachrohr der Daseinsvorsorge und im übrigen vor allem als Fachverband, will sagen: unpolitisch.
Engagiert gestritten wurde in den Foren auch darüber, wie viel persönliche Daten Menschen heute schon freiwillig an Google oder Facebook übermitteln und ob der Nahverkehr diese ständige Vernetzung nutzen soll, um in Echtzeit über die Betriebssituation zu informieren, Kundenbindung zu betreiben oder den Vertrieb zu optimieren.
Gestritten wurde auch über Großprojekte wie Stuttgart 21, das Landesminister Harry Voigtsberger (SPD) als „Prestigeprojekte“ brandmarkte (ÖPNV aktuell 73/11) und das sein Staatssekretär Horst Becker (Grüne) später dafür verantwortlich machte, dass eine Fülle kleiner und größerer, aber allesamt verkehrlich hochwirksamer Infrastrukturmaßnahmen auf Jahre blockiert bleiben müssen.
In seiner Replik auf Voigtsberger zeigte sich DB-Chef Rüdiger Grube enttäuscht davon, dass ein SPD-Mandatsträger so spreche, wo Stuttgart 21 im Bund doch von der damaligen Regierungspartei SPD mitbeschlossen worden sei. „Die Traffic Talks haben nur Sinn, wenn hier Tacheles geredet wird“, verlangte der Topmanager, und das heißt für ihn: „Die Politik sollte sich nicht herausstehlen.“
Ohne Verlässlichkeit hätten Infrastrukturprojekte in Deutschland sonst kaum noch Realisierbarkeit, warnte Grube. „Wenn ich in Stuttgart eine Ausnahme mache, fliegen mir alle Baustellen in Deutschland um die Ohren.“ Er gab Voigtsberger insoweit Recht, dass nicht nur Großprojekte das Netz voranbringen. Genau deswegen habe die DB jetzt auch ihren DB-Netzfonds aufgelegt – auch um unabhängiger von der Politik agieren zu können.
Die „Traffic Talks“ hat sich also als hochpolitisches Diskussionsforum profiliert, das Fragen der Finanzierung, Marktordnung und des Gleichgewichts von Verbraucher, Wirtschaft und Politik formulierte. An den Antworten wird weiter gearbeitet.
Mehr zu dem Thema finden Abonnenten von in Ausgabe 74/11.