„Linke Tasche, rechte Tasche – beim Verkehrsauftrag gespart, aus dem Sozialetat beigesteuert“
Herr Zimmermann, für den kommenden Samstag haben Sie die SPD-Bahner zu einer Bundeskonferenz eingeladen. Was wird Ihr Schwerpunktthema sein?
Karl-Heinz Zimmermann: Die „Renaissance der Tariftreue“. Mit Spannung erwarten wir dazu die Ausführungen von Rainer Schmeltzer – er ist Vizevorsitzenderder SPD-Landtagsfraktion in NRW – und von Jürgen Häfner, dem Innen- und Infrastruktur-Staatssekretär in Rheinland-Pfalz. Auch der Vorsitzende der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft(EVG), Alexander Kirchner, wird zu uns sprechen.
Sie selbst, aber auch Ihr Kollege Schlömer sind nicht nur in der SPD-Bahner-AfA engagiert, sondern auch in der EVG und bei Mobifair in Schlüsselpositionen aktiv. Handelt es sich bei diesen beiden Gruppierungen also um SPD Vorfeld-Organisationen?
Dirk Schlömer: Keinesfalls. Trotz der persönlichen und thematischen Überschneidungen agieren EVG und Mobifair vollkommen eigenständig und unabhängig. Das ist zugegeben manchmal ein Drahtseilakt, aber keine dieser Organisationen will sich von außen instrumentalisieren lassen. Als Bürger bringen wir uns in der SPD auf unterschiedlichen Ebenen in politische Diskussionen und Entscheidungsprozesse ein. Persönlich bin ich zum Beispiel als "sachkundiger Bürger" Mitglied im Verkehrsausschuss des Rhein-Sieg-Kreises. Bei der EVG konzentrieren wir uns dagegen auf Arbeitnehmer-Anliegen. Dem gegenüber engagieren sich die Mobifair-Mitglieder - zu denen neben Gewerkschaftern auch eine ganze Reihe von Managern aus der Verkehrsbranche gehören - gegen Missstände in Wettbewerbsmärkten. Das äußert sich unter anderem darin, dass Mobifair durch sein "Sozialzertifikat" Unternehmen auszeichnet, die Tariftreue praktizieren, junge Leute ausbilden, Betriebsratsarbeit achten und weitere Sozialstandards in vorbildlicher Weise einhalten.
Von Mobifair kommt mit unter Kritik an der von „ÖPNV aktuell“ praktizierten Sprachregelung, wonach der Verein regelmäßig als „gewerkschaftsnah“ etikettiert wird. Können Sie diese Kritik nachvollziehen?
Zimmermann: Ich habe mit dem Zusatz „gewerkschaftsnah“ überhaupt kein Problem, auch wenn es institutionell keine Verbindung zwischen Mobifair und EVG gibt.
Sie kämpfen für Tariftreuegesetze, und die meisten Bundesländer haben inzwischen entsprechende Regelungen erlassen oder stehen kurz davor. Ausnahmen sind Bayern, Schleswig-Holstein und Hessen. Ungeachtet dessen wird im hessischen SPNV- und ÖPNV-Wettbewerb freiwillig Tariftreue praktiziert. Sind gesetzliche Regelungen also eigentlich überflüssig?
Zimmermann: Nein, wir brauchen sie, auch auf Bundesebene. Denn noch immer verweigern einzelne Besteller die Vorgabe verbindlicher Sozialstandards hinter dem Argument, es fehle eine landesrechtliche Grundlage.
Schlömer: Dabei haben wir gemeinsam mit den Kollegen von Verdi mit einem Gutachten der Kanzlei GGSC nachgewiesen, dass die EU-Verordnung 1370/07 in Deutschland unmittelbar gilt und dass Tariftreuevorgaben im Verkehrsbereich spätestens durch das so genannte Rüffert-Urteil des Europäischen Gerichtshofes möglich sind, auch ohne Tariftreuegesetz. Wenn die Besteller trotzdem auf entsprechende Vorgaben verzichten, haben automatisch Bieter die Nase vorn, die nicht Ist-, sondern Zielkosten kalkulieren. In den zwei Jahren bis zur Betriebsaufnahme haben die neuen Arbeitnehmer gar keine Chance, ein faires Lohnniveau zu fixieren.
Zimmermann: Umso wichtiger war der Branchen-Tarifvertrag SPNV. Wir müssen aber weiterhin aufpassen, was konkret in die Tariftreuegesetze hinein-kommt. In Sachsen-Anhalt wird nun vorgeschlagen, dass sich ein Besteller den passenden Tarifvertrag „nach billigem Ermessen“ selber aussuchen darf. Das öffnet doch der Willkür Tür und Tor, auch im ÖPNV. Vergabegesetze sind außerdem gut geeignet, bei öffentlichen Aufträgen gesellschaftliche sinnvolle Entwicklungen zu fördern, zum Beispiel Ausbildungsquoten, Ökostandards oder Frauenförderpläne, wie dies gerade in NRW geschieht.
Bei den großen DB-Wettbewerbern, den G6, gibt es eine Bekenntnis zur Tariftreue, aber auch der Bus-Mittelstand ist dem Thema nicht abgeneigt, siehe WBO Baden-Württem-berg, siehe LBO Bayern. Man erkennt darin ein Instrument, um ordentlich kalkulierende Kaufleute vor dem Druck von Konkurrenten zu schützen, die am Personal oder der Sicherheit sparen. Trotzdem will sich die Unternehmerschaft nicht unter die Knute eines „repräsentativen Tarifvertrages“ zwingen lassen, den andere ausgehandelt haben. Auch bei Verdi oder der Lokführergewerkschaft GDL gibt es Vorbehalte gegen ein Tarifdiktat von außen. Wie stehen Sie beide zu der Forderung nach „repräsentativen Tarifverträgen“?
Zimmermann: Wir begrüßen, dass die Bundesländer Bremen und Rheinland-Pfalz entsprechende Bestimmungen erlassen haben. Solche Regelungen wären überall notwendig.
Schlömer: Im NRW-Busmittelstand hat der NWO einen Tarifvertrag mit der GÖD abgeschlossen. Diese Organisation ist so schwach, dass sie aus unserer Sicht nicht tariffähig ist. Ein solcher Tarifvertrag darf also bei öffentlichen Aufträgen auch nicht zur Anwendung kommen. Inzwischen haben auch konservative Ordnungspolitiker wie Friedrich Merz gemerkt: Bei Löhnen unter etwa 8,50 EUR kommen die Arbeitnehmer nur mit Aufstockerleistungen über die Runden. Für die öffentliche Hand bedeutet das also: linke Tasche, rechte Tasche. Was beim Verkehrsauftrag gespart wird, muss anschließend aus dem Sozialetat wieder beigesteuert werden.
Der Bundesverband Deutscher Omnibusunternehmer (BDO) hat die SPD an ihre marktwirtschaftliche Tradition und ihre marktwirtschaftlich eingestellten Verkehrsminister erinnert und sie damit zur Unterstützung bei der Novelle des Personenbeförderungs-Ge-setzes (PBefG) aufgefordert. Wie stehen Sie zu der Forderung nach dem Vorrang der Eigenwirtschaftlichkeit?
Schlömer: Jede Novelle soll ja mindestens mal Rechtssicherheit bringen. Namhafte Juristen bezweifeln aber, dass die PBefG-Novelle dieses Ziel erreicht. Nach unserer Auffassung wird mit einer Liniengenehmigung ein ausschließliches Recht gewährt, weswegen automatisch die EU-Verordnung 1370/07 angewendet werden muss. Abgesehen davon halte ich es für einen großen Fehler, weiter im großen Stil auf das Modell der so genannten Eigenwirtschaftlichkeit zu setzen. Angesichts von Schuldenbremse, des Rückgangs der 45a-Mittel und sinkender Schülerzahlen kann man sich doch ausrechnen, wann der Busverkehr in der Fläche nicht mehr eigenwirtschaftlich darstellbar ist.
Das sieht offenbar auch DB Regio Bus so, wo man sich mehr und mehr aus Bestandsverkehren verabschiedet, wenn der Aufgabenträger keine Zusatzförderung gewährt. Trotzdem wirbt die Sparte für den Erhalt eigenwirtschaftlicher Regelkreise. DB-Busmanager Alexander Möller hofft darauf, dass sich die Aufgabenträger verstärkt über „allgemeine Vorschriften“ in die eigenwirtschaftliche Finanzierung einbringen. Werden Sie diese Position bei der Anhörung am 29. Februar im Verkehrsausschuss unterstützen?
Zimmermann: Ich bin überzeugt,der DB-Konzern hat Konzepte für alle nur denkbaren künftigen Marktordnungen fertig in der Schublade. Neben der Rechtsordnung bleibt aber die Finanzierung die entscheidende Frage. Bei Bund, Ländern und Kommunen ist jetzt endlich Gehirnschmalz gefragt: Mobilität muss nicht nur in Großstädten garantiert werden,sondern auch auf dem Land. Und das kann nicht nur über den Pkw erfolgen.
Schlömer: Es ist doch klar: In Zukunft wird nicht nur der Schienenverkehr, sondern auch der ÖPNV im großen Stil über Beihilfen finanziert. Und dann geht es nicht, dass die Profite lukrativer Strecke privatisiert werden, während die öffentliche Hand auf den defizitären Angebotsbestandteilen sitzen bleibt und für diesen Rest dann sogar höhere Zuschüsse zahlen muss. Aus eben diesem Grund wenden wir uns auch gegen eine grenzenlose Fernbusliberalisierung, da sie bestehende Schienenstrecken gefährdet und insofern Schindluder mit öffentlichen Mitteln treibt.
Den demografischen Wandel könnten sie nicht nur als Bedrohung der Finanzierungskreisläufe, sondern darin auch die Chance für höhere Löhne erkennen. Wie schätzen Sie die Entwicklung ein?
Schlömer: Wir sehen durchaus, dass das Angebot enger wird, der Preis für die Arbeit also steigen muss. Die Knappheit wird durch weitere Faktoren zunehmen: Das Berufskraftfahrergesetz wird dazu führen, dass Rentner und andere Gelegenheitsfahrer ihren Busführerschein nicht mehr verlängern wollen. Alle Prognosen sagen, dass der Lkw-Verkehr weiter zunimmt. Auch das wird sich auf das Angebot an Lokführern oder Busfahrern auswirken. Aber – leider – haben wir derzeit noch immer nachweisbar Fälle, wo Busunternehmen für eine 40-stündige Wochenlenkzeit einen Bruttolohn von 1.000 EUR vereinbaren können.
Zimmermann: Wir müssen beobachten, ob die Mittelständler, die jetzt in Regionalbusverkehre der DB, Rhenus Veniro oder anderen drängen, nicht im großen Stil auf Kleinbusdienste umstellen. Und auch bei den Verkehrskonzernen müssen wir hellwach bleiben, ob sie ihre Bekenntnisse zur Tariftreue auch tatsächlich umsetzen.
Herr Zimmermann, das Bundeseisenbahnvermögen hat sie zum 1. Februar offiziell in den Ruhestand geschickt. Werden Sie bei den anstehenden Präsidiumswahlen der Bahner-AfA erneut für den Vorsitz kandidieren?
Zimmermann: Ich werde mich erneut zur Wiederwahl als Vorsitzender der AfA Betriebsgruppe Eisenbahn in der SPD stellen, um gemeinsam mit den Vorstandsmitgliedern für faire Lohn- und Sozialstandards im Verkehrsbereich, wie bisher, einzutreten. Die Unterstützung der DGB-Gewerkschaften, von Mobifair und der Parteigremien ist uns garantiert.