Kommentar: Verkehrspolitisches Versagen in Rheinland-Pfalz

Unvollendete Umsetzung des Nahverkehrsgesetzes, ausufernde Verkehrsverbünde und Fehlplanungen im Busverkehr: Ein Kommentar von Rüdiger Sterzenbach

Den Trägern der rheinland-pfälzischen Verkehrspolitik fehlt es in der Regel nicht an einem programmatischen Anspruch. Es fehlt jedoch vielfach die Fähigkeit und auch nicht selten der Wille, das richtig Erkannte in der Praxis umzusetzen. Es wird dabei jedoch immer wieder beklagt, dass in der rheinland-pfälzischen Verkehrspolitik wie kaum in einem anderen Bereich der Politik - insbesondere auch im Hinblick auf eine notwendige Verkehrswende - der größte Bruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit besteht.

Erst in jüngerer Zeit gibt es in der Bundesrepublik auf Ebene der Länder wieder vermehrt eigenständige Verkehrsministerien. Beispielhaft sei hierbei an vorderster Stelle auf Baden-Württemberg hingewiesen. Unter Führung eines kompetenten (grünen) Verkehrsministers trägt das zuständige Ministerium nach außen ausschließlich den Namen „Ministerium für Verkehr", was sich auch an der internen Zuordnung der Abteilungen deutlich erkennen lässt. Der Bedeutung des Verkehrs und die Gestaltung der Mobilitätswende erfährt durch diese Organisationsstruktur auch in der Wahrnehmung von außen eine besondere Wertstellung. Eine Zusammenfassung des Verkehrs in Ministerien mit anderen Politikfeldern legt die kritische Anmerkung nahe, dass die besondere Bedeutung der Verkehrspolitik für eine wachstums- und beschäftigungsorientierte stabile Wirtschaft und für die Verkehrswende eben nicht durch ein eigenständiges Ministerium zur Geltung gebracht wird. In Rheinland-Pfalz ist der Verkehr sogar aus (partei)politischen Gründen nachrangig auf zwei Ministerien aufgeteilt, zu einem auf das Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau (MWVLW) und zum anderen auf das Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie und Mobilität (MKUEM), letzteres ist zuständig für den ÖPNV und SPNV. Die Interpretation des Organigramms des MKUEM mit einer relativ kleinen Ausstattung an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für den ÖPNV und SPNV sowie der Umstand, dass die Mobilität in der Bezeichnung des Ministeriums an letzter Stelle steht, bekräftigt die Erkenntnis, dass in der Landespolitik – im Gegensatz zu den öffentlichen Bekundungen – dem ÖPNV und dem SPNV nur eine eher untergeordnete Rolle zugedacht ist. Dass diese geringe Wertschätzung im diametralen Widerspruch zu den Mobilitätsbedürfnissen der Menschen vor Ort und den parteiübergreifenden Aussagen aller kommunalen Entscheidungsträger steht, ist offensichtlich.

In Rheinland-Pfalz wurden die Aufgaben für den SPNV zwei Zweckverbänden übertragen und die Aufgabenträgerschaft im ÖPNV grundlegend der kommunalen Ebene zugeordnet. Nach Kenntnisnahme vieler kritischer und erfolgloser Schreiben von Gebietskörperschaften, Verbänden und Verbünden an das MKUEM ist es erstaunlich, dass bis heute die Umsetzung des neuen Landesnahverkehrsgesetzes (2021) in weiten Bereichen nur rudimentär vollzogen wurde und die wichtige Frage der Finanzierung völlig im Nebel der Zukunft liegt. Die zuständige Ministerin erklärte u. a. auf dem diesjährigen Nahverkehrstag in Koblenz, „dass dem Land die finanziellen Mittel fehlen, um die im Landesnahverkehrsgesetz verankerten Angebotsstandards gegenüber den Kommunen zu finanzieren. Zudem steht die Finanzierung der Regio Buslinien unter Druck, weil die beiden SPNV-Zweckverbände im Land aus den Regionalisierungsmitteln auch die Kostensteigerungen im SPNV ausgleichen müssen". Es geht aber insbesondere um die weiterhin ungeklärte Frage, ob das neue Landesnahverkehrsgesetz mit der Festlegung des ÖPNV als Pflichtaufgabe gegenüber Landkreisen und kreisfreien Städten bereits eine Konnexität (Zahlungsverpflichtung) auslöst. Das Land argumentiert sinngemäß insbesondere in der Richtung, dass es noch keinen verbindlichen Landesnahverkehrsplan gibt und dass damit die zu finanzierenden Standards noch nicht vorliegen. Die heutige teure, ineffiziente und komplexe ÖPNV-Struktur wurde somit noch nicht verändert, über eine konkrete Aufgabenzuordnung und die notwendige Verbandsordnung wird z. B.  weiterhin gestritten. Die vier Verkehrsverbünde sind immer noch nicht zu „Geschäftsstellen“ herabgestuft, obwohl der Bundesverkehrsminister und ehemalige Rheinland-Pfälzische Verkehrsminister Volker Wissing genau das propagiert. Eine Förderung für die anstehende umweltfreundliche Umstellung der Antriebskonzepte (CVD) gibt es nicht, obwohl dies im Koalitionsvertrag verbindlich steht. Insgesamt gilt: Wie das Land (MKUEM) Verantwortung an sich zieht und diese auch sehr bestimmend kommunalen Entscheidungsträgern enge Grenzen aufzeigend „auslebt", ohne für die Folgen ihrer Vorgaben auch die politische und finanzielle Verantwortung übernehmen zu wollen, ist schon als frech zu bezeichnen. Dies gilt auch vor dem nach wie vor zu klärenden Hintergrund, ob das Land die vom Bund für den ÖPNV zugewiesenen Regionalisierungsmittel tatsächlich alle in den Betrieb vor Ort fließen lässt, oder etwa teilweise „zweckentfremdend" die Mittel anderweitig verwendet werden. Der Bund hat sich in jüngerer Zeit auf den Weg gemacht, hierzu genauere Berichtspflichten und Kontrollen einzuführen. Der Landkreis Mainz-Bingen klagt gegen das Land, Cochem-Zell denkt darüber nach. Inwieweit eventuell auch verfassungsrechtliche Bedenken zur Vorgehensweise des Landes zum Tragen kommen, wird sich noch zeigen. Ganz generell sollten die Kommunen aufpassen, dass sie nicht zum Spielball der Landespolitik werden.

Die Kreise und kreisfreien Städte haben vielfach (auch wegen der fehlenden finanziellen Mittel) ihre hauseigene örtliche ÖPNV-Kompetenz (soweit diese vorhanden war) abgebaut. In Fragen der Führung einer Verwaltung in der Regel hochkompetente Verwaltungsmitarbeiter/innen - jedoch nicht selten ohne jegliches Systemwissen über den ÖPNV - bestimmen nun vielfach durch ihre Entscheidungen „politisch" die örtlichen Geschicke im Öffentlichen Nahverkehr. Nicht selten erfolgt dies in ängstlich vorausgreifend engster denkbarer Auslegung des noch nicht vollständig vollzogenen und daher schlussendlich in der finalen Umsetzung nicht bekannten Landesnahverkehrsgesetzes. In Anbetracht des unvollendeten Gesetzes und aller offenen Fragen aus kommunaler Sicht lassen sich gelegentlich auch Chefs von örtlichen kommunalen Verwaltungen nach Mainz „zitieren" und kommen - so scheint es dem Betrachter - quasi als „Befehlsempfänger" von dort zurück. Dies geht sogar so weit, dass sie „augenscheinlich“ Anweisungen nahezu „blind“ folgen, die eigentlich kritisch zu hinterfragen sind. Dieses Verhalten kommunaler Entscheidungsträger wirkt eher wie ein Oberbuchhalter und weniger wie ein tatkräftiger politischer Gestalter. Es bleibt die Hoffnung, dass die Interessen der ÖPNV-Nutzer in ihrem örtlichen kommunalen Entscheidungsbereich, hier insbesondere der auf den ÖPNV vielfach angewiesenen Kinder, dabei nicht in den Hintergrund treten.

Die Gemeinden und Landkreise (im Ursprung im Einzelfall auch zusammen mit Verkehrsunternehmen) haben sich mit dem Ziel einer gemeinsamen attraktiveren regionalen Gestaltung des ÖPNV zu vier Verkehrsverbünden zusammengeschlossen. Am Anfang stand dabei lediglich die Absicht innerhalb der Verbünde im Vordergrund, Fahrpläne und Fahrpreise aufeinander abzustimmen und gegenseitig anzuerkennen, dem Nachfrager somit den Zugang zum öffentlichen Nahverkehr zu erleichtern und damit die Mobilitätswende zu fördern. Von Seiten der Kritiker wird regelmäßig angeführt, dass im Zeitablauf in vielen Fällen der Aufgabenkatalog der Verkehrsverbünde und die Anzahl der dort Beschäftigten „krakenartig" erweitert wurde, was unter anderem zu einer unnötigen Komplexität, zu hohen Verwaltungskosten und zu einer Markt- und Kundenferne und damit Behinderung einer Mobilitätswende führe. Viele Kritiker befürchten zudem - und frühere Untersuchungen legen den Schluss nahe -, dass der damit verbundene Kostenanstieg und die Ausschreibungskosten die ausschreibungsbedingten Kosteneinsparungen überschreiten können. Das bestehende ÖPNV-System vernichtet somit Geld der Bürger. Gerade im Norden von Rheinland-Pfalz zeigt sich besonders, dass das dem Wettbewerb entzogene Öffentliche Monopol „Verkehrsverbund VRM“ mit seiner Angebotsplanung auf breiter Strecke versagt hat. Zu lesen war unter anderem von „Geisterbussen", „Öffentlicher Verschwendung von Steuergeldern" in Millionenhöhe, „Fehlplanungen", „Reißbrettplanungen", „mangelhafter Erfassung der Nachfrage mittels Großraumdoppelstockbussen" und „mangelhafter Erfassung der Nachfrage in der Fläche". Plakativ wird ein „Stopp des Buswahnsinns“ gefordert. In der Fachpresse war vor ca. zwei Jahren von sich wiederfindenden Zweifeln „am verkehrlichen wie ökologischen Nutzen" der vom VRM geplanten Zusatzverkehre zu lesen. Die Zweifel haben sich leider bestätigt, das Geld der Bürger wird nicht hinreichend nachfragestiftend eingesetzt. Die Größe der Ausschreibungslose lässt zudem vielfach eine mittelstandsfreundliche Ausgestaltung vermissen – und nimmt folglich heimischen kleineren Omnibusbetrieben die Chance, am Wettbewerb teilzunehmen. Es ist nur schwer erkennbar, welche Personengruppen mit öffentlichen Geldern begünstigt werden und welche nicht. Dieser Tatbestand erschwert die politische Diskussion über eine an den Interessen der Nachfrage ausgerichtete Verkehrspolitik. Es kommt umso mehr zu einer Vertrauenskrise, als die Spitze des Verkehrsverbundes den VRM augenscheinlich eher als Fürstentum mit Ponyhof und Wunschkonzert begreift, wenn er der staunenden bundesweiten Fachpresse in einem bemerkenswerten Umgang mit dem Geld der Steuerbürger zur Kenntnis bringt, dass vom VRM „mit einem Füllhorn" Leistungen ausgeschüttet wurden. Wenn die Spitze des VRM - ohne Not -  zudem in einer Anmaßung von Kompetenz gegen Vereinbarungen von Gewerkschaften und ÖPNV-Unternehmen trommelt, ist dies als eine toxische Bedrohung der Existenz von Omnibusfahrer/innen und ÖPNV-Unternehmen zu werten. So kann und wird es nicht zur Verkehrswende kommen. Dies gilt umso mehr, wenn augenscheinlich Kreisverwaltungen dem für die Planungen verantwortlichen VRM die Beschwerden vorlegen und sich dessen beschönigende und abwiegelnden Antworten aus Bequemlichkeit unreflektiert zu eigen machen.

Was ist zu tun: Eine Reduzierung der Zahl der Verbünde zum Beispiel durch Verschmelzung und Überprüfung der Aufgabenkataloge setzt dem unwirtschaftlichen Einsatz öffentlicher Mittel ein Ende und kann hinreichend Gelder freisetzen, die zu einer kundengerechteren Verbesserung der Angebote und Förderung des Umstiegs vom individuellen Straßenverkehr auf klimafreundliche öffentliche Verkehrsmittel eingesetzt werden können. Die Anforderungen des Nahverkehrsgesetzes könnten endlich ausfinanziert, eine lokale ÖPNV-Kompetenz in den kommunalen Gebietskörperschaften aufgebaut, die Regio Linien erhalten oder sogar ausgebaut und die emissionsfreie Mobilität aus Gründen der Entlastung der Umwelt eingeführt werden. Eine schnelle Einführung des schon lange überfälligen Rheinland-Pfalz-Index garantiert den Unternehmen eine auskömmliche Finanzausstattung und insbesondere den Fahrerinnen und Fahrern in den Omnibussen einen tariflichen Lohn. Das Risiko von Streiks im ÖPNV wird erheblich gemindert, eine tendenzielle Behebung des (bundesweiten) Fahrer/innen Mangels ist in Rheinland-Pfalz denkbar.

Grundsätzlich ist sogar eine Auflösung der Verbünde und damit die Streichung dieser Hierarchieebene denkbar - dies zum Beispiel durch Gründung einer Gesellschaft auf Landesebene mit merklicher Beteiligung der kundennahen örtlichen kommunalen Entscheidungsträger und der ÖPNV-Unternehmen, auch als eine „demokratische Kontrolle von unten". Die Einbindung auch der Unternehmen erscheint zudem wichtig, will man nicht länger auf das Innovationspotential der örtlichen Unternehmen verzichten, die kommunale ÖPNV-Kompetenz ist durch die Einbindung kommunaler Entscheidungsträger zudem zu stärken. Im Land entfällt durch diese Vorgehensweise das komplizierte Geflecht von Übergangstarifen zwischen den vier Verkehrsverbünden und das damit verbundene Tarifwirrwarr. Es gilt insgesamt festzuhalten: Will man den Öffentlichen Nahverkehr im Sinne einer nachhaltigen Politik gestalten, sind die vom Steuerbürger aufgebrachten Finanzmittel nicht länger in sich „selbst bedienende" Verwaltungen wie Verkehrsverbünde zu stecken. Es bedarf in den Angebotsplanungen einer stärkeren Berücksichtigung ökonomischer, umweltfreundlicher und sozialer Elemente, um den Nachfrager - auch und gerade in der Fläche - besser erreichen zu können. Es gilt bei diesem Vorgehen die Erkenntnis, dass beim Trockenlegen eines Sumpfes das Quaken von Fröschen üblich ist. Mit anderen Worten: Es wird ein besonderes Augenmerk auf ihre Pfründe verteidigende Besitzstandwahrer zu richten sein, die ihre ohne Wettbewerb bestehenden „Insider-Renten" verteidigen werden. Es wird in den zu führenden Diskussionen einer Art Populismusbremse bedürfen. Der VRM ist kein Sonderfall, sondern eher ein politisches Fanal. Eine „politische" Besetzung einer Führungsposition im Verkehr - ohne nahezu jegliche einschlägige wissenschaftliche Ausbildung und/oder praktische Erfahrung - muss nicht immer von Nachteil sein. Dies lehrt uns die Geschichte und hier insbesondere das Wirken des Maurermeisters Georg Leber (SPD) als Bundesverkehrsminister. Es bedarf der ordnenden Hand des neuen Ministerpräsidenten. Soweit bisher erkennbar, ist von den Oppositionsparteien kein merklicher Beitrag in dieser für das Bundesland wichtigen Diskussion zu erwarten.

 

Zum Autor:

Rüdiger Sterzenbach (geboren 1946) studierte Volkswirtschaftslehre in Marburg. Er war von 1977 bis 2012 Professor für Volkswirtschaftslehre und zudem Volks- und Betriebswirtschaftslehre des Personenverkehres an der Hochschule Heilbronn sowie parallel bis 2006 Mitgesellschafter der SZ-Verkehrsbetriebe. Im Ehrenamt war Sterzenbach zudem Vorsitzender der Ständigen Konferenz der Landessportbünde und Präsident des Landessportbundes in Rheinland-Pfalz sowie wirtschaftspolitischer Sprecher der CDU Rheinland-Pfalz.

Seine jahrzehntelange Erfahrung und Expertise bringt er bis heute in politische und ökonomische Veröffentlichungen zum ÖPNV und zum Luftverkehr ein. Der gelegentlich auch als „ÖPNV-Papst“ zitierte Sterzenbach arbeitet derzeit gemeinsam mit Professor Frank Fichert an einer Buchveröffentlichung und einer anschließenden Konferenz, die aktuelle Diskussionen, Entwicklungen und politische Handlungsoptionen aus einer wirtschaftswissenschaftlichen Perspektive zusammenträgt und vor dem Hintergrund verkehrsökonomischer Grundlagen einordnet und kritisch würdigt. Weitere Beiträge von Rüdiger Sterzenbach sind auf seiner Website ruediger-sterzenbach.de zu finden.

Kommentare und Meinungsbeiträge werden als Debattenbeitrag in der Diskussion um die erforderliche Neuordnung der ÖPNV-Strukturen veröffentlicht. Namensbeiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung der Redaktion wieder.

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