„Gesunde Konzessionen machen für die Politik Sinn“
Herr Flausch, obgleich Sie elf Jahre lang dem öffentlichen Verkehrsbetrieb STIB/MIVB in Brüssel vorstanden, gelten Sie bei Managern deutscher Kommunalunternehmen als Feind des Querverbundes und Freund privater Betreibermodelle. Ist die Skepsis berechtigt?
Flausch: Die Branche in Deutschland ist sehr wichtig für Europa. Bereits als UITP-Präsident, aber ganz besonders nach meiner Wahl zum UITP-Generalsekretär habe ich meine Aufgabe darin gesehen, auf die vielen hervorragenden Persönlichkeiten in Ihrem Land zuzugehen, ihre Positionen, Konzepte und die nationalen Besonderheiten zu verstehen. Mein Ziel war und ist es, unterschiedliche Ansätze für gemeinsame Ziele zu integrieren. Ich bin überzeugt, aus der engeren Zusammenarbeit von UITP und einem nationalen Verband wie dem VDV werden Synergien erwachsen. Nicht jeder muss das Rad neu erfinden. Zum Beispiel ist die UITP sehr stark im Bereich IT-Standards. Der öffentliche Verkehr ist ein sehr konservatives Geschäft. Das erklärt sich aus der jahrhundertealten Geschichte der Branche, die bis ins Postkutschenwesen des 17. Jahrhunderts zurückreicht. Eine weitere Erklärung sind die Infrastrukturentscheidungen; sie bedeuten Festlegungen auf Jahrzehnte. Wir wollen den Klimawandel begrenzen, unsere Wirtschaftszentren erreichbar halten, die heute vielfach im Dauerstau stecken. Dabei können Private entscheidende Impulse liefern.
Inwiefern?
Flausch: Wenn der „Public Transport“ seinen Marktanteil verdoppeln soll, wie wir das in unserer Strategie 2025=PTx2 formulieren, dann müssen unsere Angebote so attraktiv werden, wie es das eigene Auto heute schon ist: Dort genügt ein einziger Schlüssel, und Ihre Mobilität ist gesichert. Womöglich hat das Smartphone das Zeug zu so einem Schlüssel für Bahn, Bus und weitere Dienste. Erfolgversprechende Ansätze haben wir im Februar auf der 3. IT-Trans in Karlsruhe gesehen, und ich lade hier bereits alle Ihre Leser zur Folgeveranstaltung vom 19. bis 21. Februar 2014 in Karlsruhe ein. Für eine Weile hat uns die IT geholfen, den Betrieb zu planen oder Züge sicherer zu fahren. Jetzt geht es darum, dass sich die Branche ganz auf persönlichen Kundenservice umstellt. Eine solche Entwicklung geht nicht ohne die Kreativität und das Effizienzstreben der Wirtschaft.
Zugegeben: Auch im Personenverkehr sind Ingenieure und Kaufleute oft die Innovationstreiber, lange vor der öffentlichen Hand. Private haben 1835 die Eisenbahn nach Deutschland geholt, Private haben 1895 den Bau und Betrieb des ersten Motoromnibusses angeschoben. Die Finanzkrise hat jedoch allen vor Augen geführt, dass Private als Anbieter systemrelevanter Leistungen über ein Erpressungspotenzial verfügen und dieses auch einsetzen. Besteht diese Gefahr nicht auch im Personenverkehr?
Flausch: Auch innerhalb eines rein öffentlichen Systems können Einzelpersonen oder Gruppen ein Erpressungspotenzial aufbauen. Es gibt kein Schwarz oder Weiß. Jedes Betreibermodell hat Vor- und Nachteile, die sorgfältig abgewogen werden müssen. Die Finanzkrise macht auch deutlich, dass man jeden Euro nur einmal ausgeben kann. Wo Infrastrukturinvestitionen derzeit nicht zu finanzieren sind, könnte eine sorgfältig geprüfte und ausgestaltete Privatinitiative sinnvolle Projekte beschleunigen. Private haben außerdem ein starkes, natürliches Interesse an Effizienz, an Produktivitätssteigerungen. Diese Kräfte müssen wir uns nutzbar machen, damit knappe Ressourcen nicht vergeudet werden, sondern gesellschaftlichen Nutzen stiften. Projekte, bei denen die private Seite ins Risiko geht, machen für die Politik einfach Sinn. Ich spreche gerne von „gesunden Konzessionen“.
Viele fürchten, dass ein starker privater Einfluss im Personenverkehr die Preise deutlich verteuern würde. Wie bewerten Sie diese Gefahr?
Flausch: Personenverkehr kann ein sehr profitables Geschäft sein. Beispiele belegen das. Manche Länder sind bei der Nutzerfinanzierung zu weit gegangen, haben übertrieben. Dennoch ist es auch in diesem Sektor unbedingt erforderlich, dass die Preise die Kosten stärker widerspiegeln. Allerdings scheut die Politik Fahrpreiserhöhungen wie der Teufel das Weihwasser. Auch deshalb ist die EU-Verordnung 1370/07 so ungeheuer wichtig für unsere Branche. Sie forciert einerseits Kostenwahrheit, auch im Blick auf konkurrierende Anbieter. Gleichzeitig stellt die Verordnung fest, dass die öffentliche Hand neben ökonomischen auch ökologische oder soziale Ziele verfolgen darf. Eine Kommune, ein Land erfährt nun transparent, was die politisch erwünschten Mehrleistungen kosten und wie sie sich dies auf andere Bereiche der Daseinsvorsorge auswirken wird.
Gemeinsam mit dem französischen Fachverband UTP, dem italienischen ASSTRA und dem deutschen VDV laden Sie für den 4. Juni zu einer Konferenz über die Liberalisierung und Finanzierung des Bahn-Regionalverkehrs nach Paris ein. In Frankreich sind Ausschreibungen im ÖPNV gang und gäbe, im SPNV dagegen wagt sich das Land nur zögerlich an das Thema Wettbewerb heran. In Deutschland ist die Situation genau umgekehrt. Welche Position vertritt die UITP hier gegenüber den europäischen Institutionen? Immerhin stehen die Novelle des 1. Eisenbahnpakets („Recast“), das 4. Eisenbahnpaket, die Fortschreibung der EU-Verordnung 1370/07 und ein neues Konzessions- und Vergaberecht auf der politischen Agenda.
Flausch: Die Konferenz wird mehreren Fragestellungen des Sektors diskutieren. Die UITP bereitet eine offizielle Stellungnahme vor, die nach der Konferenz veröffentlicht wird. So ist es ein bisschen zu früh, um diese Frage zu beantworten.
Herr Flausch, Sie sind Belgier, aber Ihr Familienname klingt deutsch. Haben Sie deutsche Wurzeln?
Flausch: Tatsächlich stammen meine Vorfahren aus Nordrhein-Westfalen. Ich habe dem VDV versprochen, dass ich am Ende meiner Amtszeit Deutsch gelernt haben werde (lacht).