„Für die Bestandsinfrastruktur im ÖPNV gibt es nichts“

Die dringend erforderliche Erneuerung der nordrhein-westfälischen Stadtbahnsysteme lässt sich von den Verkehrsunternehmen, ihren Fahrgästen und Eigentümern nur zum Teil finanzieren, ist Dirk Biesenbach überzeugt. Deswegen wirbt er für eine staatliche Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung zugunsten des ÖPNV. Standardisierungen und Einkaufsgemeinschaften können helfen, die Kosten zu senken, machte der Chef der Düsseldorfer Rheinbahn im Interview mit ÖPNV-aktuell-Redakteurin Dagmar Rees deutlich.

Herr Biesenbach, als Vorstand der Rheinbahn müssen Sie gerade die Finanzierung einer neuen Zugsicherung stemmen, als Landesvorsitzender NRW des VDV registrieren Sie Finanzierungsengpässe landesweit. Was ist das größte Problem?

Dirk Biesenbach: Wir haben in Nordrhein-Westfalen ein dichtes Stadtbahn-Netz. Die Bahnen wurden in den 1960er bis 80er Jahren gebaut, mit Förderquoten bis zu 90 %. Jetzt stehen die Ersatzinvestitionen an: Zugsicherung, Gleis, Tunnelanlagen, Aufzüge, Fahrtreppen – alles muss erneuert werden. Das große Problem ist, dass diese Erneuerungsinvestitionen vom Grundsatz her nicht förderfähig sind. 

Betriebswirtschaftlich gesehen werden Ersatzinvestitionen über die Abschreibung finanziert.

Biesenbach: Unser Eigenanteil an den Investitionen beträgt in der Regel 10 %. Aus 10 % Abschreibung kann man keine 100 % Erneuerungsinvestition finanzieren. 

Da dies voraussehbar war, hätte man Rücklagen bilden können.

Biesenbach: Die ÖPNV-Unternehmen als kommunale Unternehmen machen keine Gewinne. Sie können demzufolge bilanztechnisch keine Rücklagen bilden.

Und die Kommunen?

Biesenbach: Die Kommunen selbst haben auch keine Gelegenheit, Rücklagen zu bilden. Sie sind in Nordrhein-Westfalen in einer extrem schwierigen Situation, mit Ausnahme von Düsseldorf. Die meisten Kommunen haben erhebliche finanzielle Probleme und stehen unter Haushaltssicherung. Da ist keine Rücklagenbildung möglich.  

Im Augenblick nicht, doch man hätte schon vor 20 bis 30 Jahren beginnen müssen.

Biesenbach: Wie konkret die Situation vor 20 bis 30 Jahre aussah, weiß ich nicht. Allerdings haben sich die heutigen Schuldenberge über lange Jahre aufgebaut. Über die Vergangenheit zu spekulieren, hilft in der Sache jedoch nicht weiter. Tatsache ist, dass heute die Mittel für die notwendigen Erneuerungsinvestitionen in die Infrastruktur nicht da sind. 

Was tun?

Biesenbach: Ich erwarte nicht, dass die Ersatzinvestitionen wie die ursprünglichen Investitionen wieder mit 90 % gefördert werden. Wir als Verkehrsunternehmen können unseren Beitrag leisten. Doch eine teilweise Förderung ist notwendig. Hier wünsche ich mir, dass Bund und Länder einen Plan entwickeln. Die VDV-Studie hat den Förderbedarf gut beziffert. Hier haben sich 2,4 Mrd. EUR bereits aufgestaut! Zirka 550 Mio. EUR pro Jahr werden insgesamt bundesweit zusätzlich gebraucht. Rund 220 Mio. EUR können die Verkehrsunternehmen aufbringen, ein weiterer Teil kann fremdfinanziert, der Rest müsste gefördert werden. 

Müssen die ÖPNV-Nutzer keinen Beitrag leisten? 

Biesenbach: Doch. Es muss Preisanpassungen geben, so dass zumindest die höheren Kapitalkosten, die durch die Fremdfinanzierung anfallen, gedeckt werden. Doch es geht nicht ohne finanzielle Beteiligung des Staates. Bei Straße und Schiene gibt es schon die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarungen, über die Mittel in die Aufrechterhaltung der Infrastruktur fließen. Für die Bestandsinfrastruktur im ÖPNV gibt es nichts. Da müsste Abhilfe geschaffen werden. 

Mit jährlich 500 Mio. EUR? 

Biesenbach: Diese Größenordnung wäre sicherlich hilfreich. Es hat sich sehr viel aufgestaut. Nehmen Sie das Beispiel Essen. Dort wurde die Stadtbahn 1967 fertiggestellt, vor 44 Jahren. Wenn Sie die Stadtbahn außerhalb des Zentrums nutzen, sehen Sie, wie viel zu tun ist. Wir müssen aufpassen, dass das Stadtbahnnetz in NRW, das wir erfolgreich aufgebaut haben, erhalten bleibt. Die Fahrgastzahlen im ÖPNV steigen. Wir sollten das Niveau des Angebots zumindest halten. Wenn die Förderungs- und Finanzierungsfrage nicht gelöst wird, befürchte ich, dass wir die eine oder andere Strecke in Nordrhein-Westfalen stilllegen müssen. 

Finanzierungsfragen sind immer auch Verteilungsfragen. Stadtbahnförderung kommt den Städten zugute, der ÖPNV auf dem Land bleibt außen vor.  

Biesenbach: Sicher muss man sich in Nordrhein-Westfalen der Frage stellen, wie sich die Bevölkerung und damit der Verkehr mittel- und langfristig entwickelt und wie der zukünftige ÖPNV zu gestalten ist. Aber mit dem augenblicklichen Problem der Bestandserhaltung hat das wenig zu tun. Sicher könnte man grundsätzlich fragen, ob der jetzige Bestand noch erforderlich ist. Doch wir reden hier über Städte, die sich bestimmt nicht so ausdünnen werden, dass die Stadtbahnsysteme nicht mehr erforderlich sind. 

Um Kosten zu senken, haben Sie mit neun anderen Verkehrsunternehmen in Nordrhein-Westfalen die Einkaufsgemeinschaft Spurwerk gegründet. Wie sind die Ergebnisse? 

Biesenbach: Spurwerk NRW ist mehr als eine Einkaufsgemeinschaft. Wir versuchen, über Standardisierung und Bündelung Einkaufserfolge zu erzielen. Im Rahmen der Kooperation ist uns aber auch der Know-how-Austausch wichtig geworden. Es muss nicht mehr in jedem Unternehmen das gleiche Know-how vorgehalten werden, man kann sich spezialisieren. Wir tauschen uns in den Bereichen Zugsicherung und Betriebsleitsysteme, Fahrkartenautomaten, Gleisbau, Fahrtreppen, ITCS-Funk aus – jeder dieser Bereiche hat eigene Arbeitsgruppen und eigene, gemeinsame Ausschreibungen. Nur bei Fahrzeugen ist dies wegen der unterschiedlichen Investitionszyklen der Stadtbahnen noch nicht der Fall.    

Welche Einsparungen erreichen Sie durch Spurwerk?

Biesenbach: Bei den Fahrtreppen haben wir Einsparungen von 20 % erreicht. Das ist die Größenordnung, die wir anstreben. Möglich werden die Einsparungen durch die Standardisierung der Systeme, was auch direkte Vorteile für den Fahrgast bringt. Wenn er in Duisburg die gleichen Fahrkartenautomaten wie in Düsseldorf findet, ist die ÖPNV-Nutzung für ihn einfacher. 

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